"Pony-Aufträge lehne ich kategorisch ab."

Ein Interview mit der Bilderbuch-Illustratorin Stefanie Jeschke.

Stefanie Jeschke Portrait

An dem Septembermorgen, an dem ich zu Stefanie fahre, ist ein ständiger Niesel in der Luft. Trist ist die Bahnfahrt von Berlin nach Treuenbrietzen: einmal aus Berlin raus, fährt man an einigen LPG-Ruinen vorbei, die wie hohle Zahnstümpfe einer Behandlung harren. Dazu passend: die zahnstochergleichen Kieferstämme, Überbleibsel des großen Waldbrandes 2020 nahe Treuenbrietzen, in dem 330 Hektar Wald abgefackelt sind. Die Stadt selbst wiederum ist ein sehr hübscher Flecken: historischer, gut erhaltener Stadtkern, mittelalterlicher Stadtturm, Schwanenteich undundund. Ich bin spitzenmäßig überpünktlich, was aber zum Glück nicht weiter schlimm zu seien scheint …

Seit wann zeichnest du, Stefanie?

Ich glaube, ich zeichne, seit ich einen Stift in der Hand halten kann. Aber natürlich nicht im illustrativen oder erzählerischen Sinn. Wobei: eigentlich wollte ich gar nicht Zeichnerin oder Illustratorin werden, sondern Erfinderin oder Pathologin. Das fand ich als Kind faszinierend, der Tod spielt ja auch immer mit eine Rolle. Und Erfinderin fand ich gut, weil ich mir als Kind immer irgendwelche Geräte und Apparaturen ausgedacht habe. 

Wie ging es nach der Schule weiter?

Nach dem Abi wusste ich nicht, was ich machen oder werden sollte. Da habe ich mir gedacht, okay, machst du halt so ein Praktikum und probierst irgendwas aus. Ich bin dann mehr oder weniger durch Zufall in so einer Werbeklitsche gelandet. Dort habe ich allerdings schnell gemerkt, dass das nicht so meins ist, dass ich mein eigenes Ding machen muss. 

Es folgte eine Ausbildung zur gestaltungstechnischen Assistentin in Haldensleben – dort waren zwei Absolventinnen von der Burg Giebichenstein, die einen ganz neuen und wirklich tollen Ausbildungsgang für Grafikdesign entwickelt hatten. Das war damals alles noch im Aufbruch, und ich hatte die Möglichkeit, mit den zwei Lehrerinnen, die nur ein bisschen älter waren als ich, viel Pragmatisches zu lernen: wie gestalte ich meine Mappe, wie bereite ich mich auf ein Studium vor … eigentlich habe mich in den zwei Ausbildungsjahren hauptsächlich aufs Studium vorbereitet, die Ausbildung lief so ein bisschen nebenher.

Bilderbuch Illustrationen

Und dann hast du in Weimar studiert ...

Ja, genau. Wobei, nicht ganz: ich habe noch ein Jahr in der Warteschleife gehangen. Ich hatte mich zuerst an der Burg Giebichenstein für den Studiengang Freie Kunst beworben, weil ich dachte: jetzt habe ich hier die absolut perfekte Vorbereitung erhalten, das kann ja nur klappen – und wurde nicht angenommen. Das war natürlich ein Dämpfer. Im nachhinein würde ich sagen, dass ich mich einfach auf den falschen Studiengang beworben habe. Wenn ich mich auf Kommunikationsdesign beworben hätte, hätte ich wahrscheinlich eher eine Chance auf einen Studienplatz gehabt. Jedenfalls war die Stimmung im Keller, bis ich dann drauf gekommen bin, dass ich bisher eigentlich auch nichts anderes gemacht hatte als Grafikdesign, dass ich immer schon angewandt gearbeitet hatte und dass ich mich niemals auf einen Studiengang hätte bewerben dürfen, der völlig frei funktioniert.

Das hat lange gedauert, bis ich das begriffen habe. Ich brauche immer eine Vorgabe, einen Rahmen, eine Aufgabe –  dann sprudelt es ohne Ende, aber völlig frei und ohne Vorgabe … das ist schwierig.

Ich bin also erstmal wieder zurück zu meinen Damen nach Haldensleben und die haben gesagt, Stefanie, du musst das anders angehen, du musst dir selbst Aufgaben suchen. Du fährst jetzt nach Hause und das erste, was dir dort entgegenkommt, ist deine Aufgabe. Und das erste, was mir dann entgegenkam, war im Briefkasten ein Werbeblättchen von einem Möbelmarkt. So kam es, dass ich aus diesem Heftchen in ziemlich mühevoller Arbeit mein erstes Buch konzipiert habe, indem ich nur Material aus diesem Flyer genutzt und ringsherum eine Geschichte gesponnen habe.

Wie ging es weiter?

Wie gesagt, es hat ein bisschen gedauert, bis bei mir der Groschen fiel. Ich habe mich nämlich auch noch mal in Weimar für den Studiengang Freie Kunst beworben, wurde aber auch hier nicht genommen. Das hätte mir eigentlich die Augen öffnen sollen, hat es aber nicht. Schließlich habe ich mich für visuelle Kommunikation beworben und auch sehr schnell eine Zusage bekommen.

Was genau hast du in Weimar gelernt?

Das beste an dem Studium in Weimar ist, aus meiner Sicht, dass das Studium als Projektstudium organisiert ist. Das ist nicht wie an anderen Universitäten oder Hochschulen, wo im Grundstudium dies und im Hauptstudium jenes gelernt wird, so dass am Ende alle das gleiche gelernt haben. In Weimar ist der Gedanke eher so, dass, angelehnt an die Bauhaus-Theorie, jeder schon irgendwie sein Thema mitbringt, dass verschiedene Projekte angeboten werden, von denen man sich jene aussuchen kann, die einem am ehesten interessieren. Darüber hinaus, so scheint mir, wird darauf geachtet, dass die Studierenden so inhomogen wie möglich sind.

Wie sieht so ein Projektstudium aus?

In den Projekten lernst du genau das, was du für das Projekt brauchst. Ich habe viele Sachen gemacht, die Richtung Buchgestaltung gehen: wie setze ich, wie werden Bücher gebunden, wie werden Hefte gebunden, all das. Das Pragmatische fand ich total gut, das hat mich sehr geprägt. 

Als ich noch studierte, habe ich von Bekannten, die an anderen Hochschulen waren, oft zu hören bekommen: ach, jetzt muss ich im Grundstudium dies reinprügeln und im Hauptstudium das reinprügeln – die haben das immer alles nur auswendig gelernt, wie etwas Fremdes, das sie sich zwangsweise als Wissen aneignen mussten. Im Gegensatz dazu war es das Großartige bei dem Studiengang Visuelle Kommunikation in Weimar, dass wir das eben nicht mussten. Jeder konnte sich in die Richtung spezialisieren, die er wollte. 

Kleiner thematischer Schwenker: wir, also mehrere Eltern hier in Treuenbrietzen, gründen gerade eine Schule mit Montessori-Pädagogik. Und ich merke, dass es genau das ist, was ich gut finde: jeder kommt so an, wie er ist, mit seinen eigenen Interessen, und lernt das, was er lernen will, und das mit voller Begeisterung, so dass schließlich alle auf sehr hohem Niveau spezialisiert sind und nicht alle zwangsweise das Gleiche lernen.

Flamingo Bilderbuch

Und du hast dich in Weimar auf das Illustrative konzentriert.

Eigentlich gab es gar keinen Studiengang Illustration in Weimar, aber unser Professor, Werner Holzwarth, hat immer versucht, Illustratorinnen und Illustratoren als Lehrende zur Uni zu kriegen, weil sein Credo war: Man kann zwar immer gute Ideen haben, aber man muss sie eben auch auf Papier bringen können. 

Philipp Wächter war bei uns, Tim Weiffenbach, Jutta Bauer, Franz Zauleck … diese Gastprofessuren waren das Beste, was mir und allen anderen, die eine zeichnerische Ader hatten, passieren konnte. Weil wir hier innerhalb von Projekten das Handwerk gelernt haben, wie zum Beispiel ein Buch illustriert oder auf Ausstellungen präsentiert wird.

Wie gestaltete sich nach dem Studium dein Weg hin zur Selbständigkeit?

Da kam uns Studentinnen und Studenten zu Gute, dass es, wie erwähnt, gar keinen “echten” Studiengang Illustration gab. Weil dadurch alle, die sich für Illustration interessiert haben, zusammengetan und eine ziemlich eingeschworene Gemeinschaft gebildet haben. Wir haben uns alle unglaublich gut unterstützt. Beispielsweise haben wir uns ziemlich früh, zwei oder drei Jahre, bevor wir uns selbständig gemacht haben, entschieden, dass wir zusammen nach Bologna zur Buchmesse fahren, auch ohne einen begleitenden Professor. Das haben wir alles selbst organisiert, anders als bei den Studierenden aus Hamburg oder Münster, wo diese Reisen für die Illustrations-Studierenden immer schon Teil des Programms sind. Das war eine sehr gute Möglichkeit zu lernen, wie man sich selbst und seine Arbeiten präsentieren muss.

Was waren die ersten Aufträge, die du bekommen hast?

Mein erstes Buch war das Erdmännchen-Buch, zusammen mit Werner Holzwarth. Das war ein Glücksfall, dass er in Weimar Professor war und diese Geschichte geschrieben hatte, und mich gefragt hat, ob ich das nicht illustrieren möchte. Da habe ich natürlich nicht nein gesagt.

Bilderbuch_Erdmännchen

Und du illustrierst jetzt hauptsächlich Kinder- und Jugendbücher?

Ja. Seit einiger Zeit gibt es aber auch öfters Anfragen aus den eher buchfernen Bereichen. Zum Beispiel der Naturpark, der eine Beschilderung für seinen Kräutergarten haben möchte. Ich habe auch mal für die ZEIT gearbeitet und aktuell mache ich zweimal im Monat eine Doppelseite für ein österreichisches Heft: ein Nachmittagsheft für Schulkinder zur Beschäftigung nach der Schule, das macht auch sehr viel Spaß.

Musst du für deine Aufträge Akquise betreiben?

Aktuell bin ich in der glücklichen Lage, dass die Aufträge zu mir kommen; eine große Hilfe war dabei sicherlich meine erste Publikation, das erwähnte Erdmännchen-Buch. Wenn sich einmal ein Verlag traut, eine komplette Newcomerin zu publizieren, dann ist quasi der Knoten geplatzt. Dieser Schritt, jemand völlig Unbekannten zu veröffentlichen, macht auch nicht jeder Verlag. Die sind oft eher zurückhaltend, weil sie natürlich gern erst einmal jene Illustratoren und Illustratorinnen nehmen, bei denen nachweislich die Absatzzahlen in Ordnung sind.

Gibt es Illustratorinnen oder Illustratoren, die dich besonders beeinflusst haben?

Ich habe schon immer sehr gern collagiert und in der Beschäftigung mit den Werken von Werner Holzwarth habe ich dann Wolf Erlbruch sehr zu schätzen gelernt, der wirklich sehr tolle collagierte Illustrationen macht. Philipp Wächter ist spitze, obwohl er einen ganz anderen Stil hat: alles ist sehr geradlinig und ordentlich und sauber (lacht). Während des Studiums hatten wir glücklicherweise so unterschiedliche Gastprofessorinnen und -professoren, ich würde sagen, dass ich von jedem irgendetwas mitbekommen bzw aufgenommen habe.

In welchen SItuationen kommen dir die besten Ideen? Gibt es spezielle Rituale, die du pflegst?

Ich bin sehr strukturiert, das ist der Alltag mit den Kindern, der das vorgibt. Ich brauche also keine besonderen Rituale für meine Arbeit. Was auffällig ist, dass ich in meinen Illustrationen immer sehr viel verarbeite, was sich in meinem unmittelbaren Umfeld befindet. Meine gezeichneten Männer sehen immer ein bisschen aus wie mein Mann, und dann gibt es diverse Leute, die hier auf der Straße umherlaufen, die dann Einzug finden, weil sie so skurril sind.
Bilderbuch

Hast du Themen, die dich besonders interessieren?

Ich beantworte es gern von der anderen Seite: ich habe tatsächlich Themen, die mich absolut nicht interessieren. Ponys zum Beispiel. Da bekomme ich ab und zu Anfragen von Pferd-und-Mädchen-Buchprojekten – da lehne ich sofort ab (lacht). Ich liebe allerdings Krabbeltiere und alles Viehzeug, ansonsten bin ich thematisch gern offen für alles. Das bereichert ja auch mein Leben, wenn es eine große Themenvielfalt gibt. Ich habe mal einen Kinderroman über ein Beerdigungsinstitut illustriert – da geht es um einen kleinen Jungen, der in einem Beerdigungsinstitut aufwächst, weil seine Eltern Bestatter sind. Der turnt immer zwischen den ganzen Urnen und Särgen umher und erfindet seine eigenen Detektivgeschichten: warum sind manche Leute gestorben, wie sind sie umgekommen … das fand ich spitze. Je skurriler, desto besser; das habe ich allemal lieber als so weichgespülte Geschichten.

Auf welche Weise kommen deine Illustrationen zustande?

Wenn du mir die Frage vor einem Jahr gestellt hättest, hätte ich dir geantwortet, dass ich zu 95% mit farbstarken Buntstiften und Gouache-Farben zeichne. Mittlerweile ist der Prozess eher im Digitalen gelandet. Bis vor Kurzem war es so, dass ich bspw. das Cover reinzeichne und der Verlag digitalisiert dann alles. Aber das hat sich geändert. Ich musste mich ins digitale Arbeiten erst einmal reinfummeln, mittlerweile finde ich es aber sehr praktisch, vor allem zum Ausprobieren von ersten Ideen und Skizzen. Früher habe ich mir beispielsweise verschiedene Papiere als Hintergründe genommen, um Dinge auszuprobieren – das ist natürlich viel aufwendiger als einfach den Hintergrund auf dem Bildschirm anzuklicken und zu sagen, ich gebe dem Ganzen jetzt mal eine andere Farbe. Im Digitalen lassen sich eben auch Änderungswünsche seitens der Verlage besser organisieren, wenn von dort zum Beispiel die Ansage kommt, wir müssen das jetzt in Hellblau machen, das verkauft sich besser – sowas im Original zu ändern wäre ja der Wahnsinn.

Welche Projekte haben dir bisher am meisten Spaß bereitet?

Eigentlich war bisher noch jedes Projekt interessant, weil es immer wieder neue Bereiche gibt, in die mich hineinarbeiten muss. Ich werde jeden Tag schlauer mit meiner Arbeit und das erfüllt mich, bei jedem Buch auf eine andere Art. 

Was würdest du jenen raten, die überlegen, ein Studium mit Bezug zu Illustration zu beginnen, um später als freie Illustratorin bzw Illustrator zu arbeiten?

Auf jeden Fall sollten sie sich nicht abschrecken lassen von Ablehnungen, weil die werden wahrscheinlich kommen. Ausdauer und Beharrlichkeit sind wichtig, denke ich. Und sich nicht unter Wert verkaufen, das ist absolut wichtig. Der Bereich der Illustration ist sowieso eine Branche, in der recht schlecht bezahlt wird. Eigentlich ist das System ja so angedacht, dass wir von Tantiemen ein bisschen leben können sollten, aber es ist eher selten, dass Bücher mehrere Auflagen erleben …

Wie denkst du über deine berufliche Zukunft?

Tja. Ich denke schon, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen kann, an dem meine Arbeiten keiner mehr haben will. Als ich beispielsweise anfing, da hat man mir noch gesagt: Frau Jeschke! Keine runden Augen! Sie müssen die Augen mandelförmiger machen! Was ich aber blöd fand, und ich habe einfach weiter meinen Stil beibehalten. Und inzwischen redet darüber keiner mehr, jetzt sieht man hauptsächlich runde Augen, und Mandelaugen sind ziemlich out, und die Illustratorinnen und Illustratoren, die früher Mandelaugen gezeichnet haben, sieht man nicht mehr so sehr … Also, mir ist klar bewusst, dass auch mein Stil irgendwann mal sein kann, weswegen wir uns mit unseren Ferienwohnungen hier in Treuenbrietzen ein zweites Standbein aufgebaut haben.

Stefanie Jeschke

Was würdest du gern an dir ändern?

Ich würde gern etwas weniger ungeduldig sein. Aber ich glaube, das ist auch etwas meiner Biographie geschuldet. Wenn man gesundheitlich schon mal auf der Klippe stand und weiß: der Abgrund ist nah, dann hat man einfach keine Lust mehr auf Dinge zu warten oder die Zeit mit Unnützem zu verplempern. Ich weiß nicht, was morgen und was nächste Woche sein wird. Was ich aber auf keinen Fall erleben möchte, ist, wenn es dem Ende entgegengeht: dass ich zu mir selber sagen müsste: ach, hätte ich doch dieses oder jenes gemacht. 

Was würdest du gern an anderen ändern?

Hm … vielleicht das, was ich eben angesprochen habe. Ein bisschen mehr Mut, Sachen zu machen, auch wenn es schiefgehen kann. Und dabei das Nichtperfekte in Kauf zu nehmen. Ich jedenfalls habe keine Angst davor, Fehler zu machen, vielmehr fürchte ich mich davor, sie nicht zu machen. 

Vielen Dank für das Gespräch, Stefanie!

PS: im Februar 2022 erschien das von Juri Johansson geschriebene und von Stefanie Jeschke illustrierte BilderbuchVon Schildflöten, Herdmännchen und Großmaulnashörnern“ im Kraus Verlag. Wenn Sie möchten, können Sie das Buch auf dieser Seite bestellen, die Lieferung ist versandkostenfrei.

Schreibe einen Kommentar

Facebook
Twitter
LinkedIn
XING
×
×

Warenkorb